Mutabor - Freund, Professor und kleiner Bruder

Ein Pferd kennen zu lernen, was gleichzeitig Freund, Professor und kleiner Bruder ist, passiert einem wahrlich nicht häufig im Leben. Aber Mutabor war so ein Pferd.

Mutabor war ein Wegbegleiter, wie man sich ihn nur wünschen kann. Beileibe nicht perfekt, mit Macken und seinem eigenen Kopf, aber auch mit einem so großen Herzen, Sensibilität, Arbeitseifer und Lebensfreude, die er auf einen übertragen konnte.

 

Seine Sanftheit hat mich von Beginn an fasziniert. 1989 lernte ich Mutabor kennen. Katja stellte ihn damals auf dem Hof meiner Tante ein und fortan wurde sie mich nicht mehr los. Ich hing förmlich an ihrem Rockzipfel und gierte danach an Mutabor ran zu dürfen. Zu Beginn durfte ich ihn mit putzen, irgendwann auch Warm- oder Trockenreiten (nur mit Halfter, da Arabs Maul für Kinderhände viel zu sensibel war), und manchmal setzte Katja mich auf seinen Rücken und führte mich ins Gelände oder nahm mich mit in die Reithalle.

Mutabor und ich, ca. 1992
Mutabor und ich, ca. 1992

Später bekam ich sogar regelmäßig Unterricht auf Mutabor, nahm an Spring- und Cavalettistunden teil und ging mit ihm auf Turniere. Durch ihn und Katja habe ich so viel gelernt und keine einzige Minute mit Mutabor möchte ich missen, auch wenn er mich mit seinem Eifer manchmal ziemlich wahnsinnig gemacht hat. Ich hätte mir keinen besseren Lehrmeister vorstellen können.

 

Mit Mutabor habe ich so viel erlebt… alles aufzuschreiben würde wahrlich den Rahmen sprengen, daher hier nur ein paar Anekdoten aus unseren 16 gemeinsamen Jahren:

 

Ich war gerademal 6 Jahre, als ich einen schweren Unfall mit einem anderen Pferd hatte.

Es war mittlerweile Abend an einem Dezembertag, Astrid und Mahatma kamen gerade aus der nahe gelegenen Reithalle auf den Hof geritten. Rocky unser Stallkater schlenderte über den Hof und kam verdammt nahe an die Hinterbeine von Mahatma heran. Ich wollte ihn da eigentlich nur wegholen und vergaß dabei, dass man nicht so nah hinter einem Pferd lang laufen durfte. Mahatma traf mich mit dem Sprunggelenk im Gesicht und zertrümmerte mir den Oberkiefer. Meine Mutter fuhr mit mir ins Krankenhaus, wo ich operiert wurde, mein Oberkiefer neu geformt und mir die, am seidenen Faden hängenden, Zähne wieder eingesetzt wurden.

Nach dem Krankenhausaufenthalt und einer Genesungszeit zu Hause, nahm mich meine Mutter irgendwann wieder mit zu meiner Tante. Die ersten Male wollte ich gar nicht so richtig zu den Pferden, aber irgendwie haben sie mich doch wieder in den Stall bekommen. Als ich dann auch von selbst wieder in den Stall wollte, nahm mich Katja wieder vermehrt mit an die Pferde, vor allem an Mutabor heran. Trotzdem ich zuerst gar nicht wieder auf seinen Rücken wollte hat Katja es geschafft, mich wieder hoch zu Ross zu bekommen, und Mutabor hat seinen Teil dazu getan mir wieder Sicherheit und Vertrauen zu geben. Dank ihm und Katja sitze ich heute noch auf dem Pferd. Wären die Beiden damals nicht für mich da gewesen, hätte ich das Reiten wahrscheinlich an den Nagel gehängt und meine Angst nie überwunden.

 

Bei Mutabor hatte ich über lange Zeit einen gewissen Welpenschutz. Auch wenn er mal einen extrem eifrigen Tag hatte, hat er sich mit mir auf seinem Rücken immer zusammen gerissen und auf mich aufgepasst. Nie hat er unter mir gebuckelt, oder gescheut. Katja machte ich manchmal ziemlich ärgerlich, wenn Mutabor nach dem gemeinsamen Warmreiten mit mir, unter ihr richtig hochfuhr und ich dann sagte: „Das hat er bei mir aber nicht gemacht!“ Heute kann ich nachvollziehen, was Katja damals manchmal die Zähne zusammenbeißen musste.

Dieser Welpenschutz war jedoch irgendwann ganz schnell verflogen. Und zwar auf dem Abreiteplatz der Wilden-Weiber-Ranch in Hemdingen, wo Mutabor und ich auf einem Turnier starten sollten.

Die gutgemeinten Ratschläge von Katja, ich solle Mutabor nicht so viel in dem Gewusel auf dem galoppieren, er würde sonst zu sehr „aufdrehen“ überhörte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn (ich war 12 Jahre alt). Und – schwups - war es passiert. Mutabor buckelte. Und das unter mir… Empört war ich, und wie… Katjas Kommentar dazu „Selbst Schuld!“.

Danach ritt ich ruhiger ab. Zur Prüfung habe ich mich von dem Buckler und meiner Empörung wieder erholt gehabt und meinen Fehler eingesehen und Mutabor war auch wieder besser auf mich zu sprechen.

Gemeinsam haben wir die Prüfung gewonnen. Unser erster gemeinsamer Sieg. Man war ich stolz auf ihn! Und dankbar, dass er mich Gör ertragen hatte…

Von da an war es jedoch aus mit dem Welpenschutz und Mutabor zeigte mir ganz deutlich, dass Reiten doch nicht ganz so einfach war, wie es sich für mich bis zu diesem Zeitpunkt auf ihm gestaltet hatte…

Es war glaube ich ein Jahr später, als wir wieder ein einmaliges Erlebnis miteinander teilten. Katja, Astrid und ich waren gerade mit Mutabor auf dem Weg nach Neustadt/Dosse, wo ein großes Araber-Turnier stattfand. Irgendwo auf der Autobahn fing das Auto an der Hinterachse an zu rauchen. Eine nahe LKW-Raststätte war die Rettung. Es wurde der ADAC gerufen, denn wer weiß, was an dem Auto defekt war.

Da Mutabor etwas unruhig im Hänger war luden wir kurzerhand Rory aus und stellten ihn auf einem Grünstreifen zwischen der Autobahnleitplanke und der Raststätte ab. Katja drückte mir den Strick in die Hand mit der Ansage „gut festhalten“, und kümmerte sich mit Astrid um den ADAC-Menschen und das Auto.

Mutabor fing an zu grasen. Als der erste Brummi sein Horn direkt neben uns ertönen ließ, zuckte Mutabor einmal mit den Ohren, schaute dem Brummi hinterher, danach zu mir, stupste mich mit seiner Nase an und graste weiter. Seine Nerven waren nicht besonders gut, aber hier, war er die Ruhe selber. Egal wie viele LKW´s das Horn zogen, an uns vorbei bretterten oder Druckluft abließen… Mutabor war ruhig, blieb ganz dicht bei mir und knabberte am Gras.

Als wir von dem ADAC-Menschen das Okay bekamen mit dem Auto weiter zu fahren (es verlor Automatiköl), luden wir Mutabor wieder auf den Hänger und ich glaube ein erleichtertes Stöhnen von ihm vernommen zu haben, als wir die Hängerklappe schlossen und er in Ruhe wieder an seinem Heu knabbern konnte. Ich glaube viele Pferde hätten es nicht so ruhig mitgemacht an der Autobahn zu stehen und den Lärm der LKW´s zu ertragen. Und ich hätte in arge Schwierigkeiten kommen können, hätten Mutabor´s Nerven dort versagt.

 

Ein anderes Mal waren wir eingeladen an einem IGMAL-Treffen auf Gut Schneede teilzunehmen. Katja wollte Mutabor an der Hand vorstellen und ich sollte mit ihm unsere Burgfräulein Kür mit Halsring reiten. Wir übten also regelmäßig für dieses Schaubild auf unserem Platz. An dem einen Tag war es so warm, dass ich danach mit Mutabor noch in die Kieskuhle wollte, die direkt hinter unseren Weiden lag, damit sich Rory ein bisschen abkühlen konnte. Wir waren einfach zu faul um ihm seine Trense wieder anzulegen und so ritt ich ihn nur mit Halsring in die Kieskuhle. An unserer Lieblingsstelle gingen wir ins Wasser und Mutabor planschte mit den Vorderhufen, dass das Wasser spritzte und schnaubte vor Wohlgefallen. Als er davon genug hatte, stellte er sich in seine bevorzugte Position, die Hinterhand an die tiefere Stelle, und fing an zu dösen. Auch mir wurde es träge zumute und so standen wir eine ganze Zeit ruhend im Baggersee.

Irgendwann bemerkte ich einen Hund, der auf den See zu lief und kurze Zeit später auch sein Herrchen. Die beiden blieben vor dem See stehen und der Mann starrte uns etwas überrascht an. Ich sagte ihm freundlich hallo, woraufhin er sich räusperte und vorsichtig fragte, ob mit uns denn alles in Ordnung sei. Ich musste lächeln und bestätigte ihm, dass alles gut war.

Ich hatte das Gefühl, dass er noch etwas sagen wollte, aber er drehte sich um und ging mit seinem Hund ein paar Schritte weg. Ich wollte Mutabor gerade sanft aus seinen Träumen aufwecken, als der Mann wieder kam: „Mädel… Sie wissen aber schon, dass Sie ihre Trense verloren haben?“

Ich musste so lachen, dass Mutabor die Ohren spitze…

„Guter Mann… Das ist so gewollt.“

Mutabor bewegte sich von selber aus dem Wasser und suchte sich den Weg nach Hause. Der Mann sah uns noch kopfschüttelnd hinterher, als wir den kleinen Hügel hochgaloppierten, der zu unseren Weiden führte…

Was der wohl von uns gedacht hat…

Mit Mutabor konnte man so etwas machen. Einfach am Halsring in die Kieskuhle oder ums Feld reiten. Mit einem anderen Pferd hätte ich das nicht gemacht, aber das Vertrauen zu Rory war so groß, dass ich wusste, er würde diese Situation nicht ausnutzen.

Knapp drei Monate vor Rorys Tod bin ich mit ihm in den Forst geritten. Es war an dem Tag relativ kühl und etwas windig und Mutabor war knackig kernig. Wir ritten einen Weg, der sich durch die Bäume schlängelte, auf dem man wunderbar Biegungen üben konnte und den wir sonst häufiger für den Galopp nutzten. An diesem besagten Tag wollte ich jedoch die Strecke ruhiger hinter uns bringen. Mutabor, der sonst im Gelände immer gut zu handeln war, war jedoch anderer Meinung. Er versuchte immer wieder anzugaloppieren, wenn er es nicht durfte grunzte er angriffslustig und drohte einen Buckler an. Ich musste lachen, denn ich teilte Mutabors Lebensfreude. Irgendwann schaffte er es anzugaloppieren und wurde immer schneller, ich hatte meiner Mühe Not ihn zu halten, vor allem weil ich wusste, dass der Weg auch bald zu Ende sein würde und uns jeder Zeit jemand entgegen kommen könnte. Und so kam es auch. Hinter einer Biegung sah ich eine Frau mit ihrem Hund, die unseren Weg kreuzte. Ich bekam Mutabor zum durchparieren, er hampelte und zappelte, spielte sich auf wie ein junger Hengst und wieherte jedoch so sehr, dass die Frau sich bemüßigt fühlte mich barsch von der Seite anzusprechen: „Wie können Sie nur mit einem so jungen Pferd alleine ausreiten. Das ist gefährlich. Und dann auch noch ohne Gebiss (ich war nur mit Reithalfter unterwegs, mit dem ich Mutabor immer ritt). So was fahrlässiges!“

Ich musste so grinsen, dass die Frau puterrot anlief. „Gute Frau, der Kerl ist nicht jung, der ist 20 Jahre alt!“

Damit ließ ich sie stehen und ging mit Mutabor weiter unseres Weges. Den Rest der Strecke war er deutlich ruhiger und hörte auf jede kleine Hilfe, die ich ihm gab.

Ich glaub der Kerl hatte darauf gewartet, dass er vor irgendjemanden mal wieder angeben konnte…

Mit Mutabor verbinden mich so viele schöne Momente und Erlebnisse. Egal ob es in der ersten Zeit das Warm- oder Trockenreiten war, oder der Reitunterricht, die vielen Ausritte, Turniere, Schauen und Auftritte, oder die Zeit in der ich ihn geputzt habe, mit ihm spazieren war, ihn pflegen und bespaßen konnte oder die Augenblicke in denen ich bei ihm stand, ihm meine Probleme (Tennager) erzählt habe oder mich an seiner Seite ausgeweint habe. Mutabor hat so viel für mich getan, mir Halt und Sicherheit gegeben, mir mein Vertrauen zurückgebracht und mich so viel gelehrt. Wenn er seine Stirn an meinem Brustbein rieb wusste ich, dass alles gut werden würde. Er war mein Freund, mein Professor und mein kleiner Bruder.

 

Als er im Dezember 2005 an schwerer Hufrehe erkrankte, konnte ich wegen eigener gesundheitlicher Probleme nicht so für ihn da sein, wie ich es gemusst hätte. Auch Katja habe ich zu der Zeit leider nicht so beistehen können, wie sie es immer für mich getan hat. Und es tut mir heute noch in der Seele weh, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Es kommen mir auch nach den Jahren, die seitdem vergangen sind immer noch die Tränen, wenn ich an die 16 Jahre mit Mutabor zurückdenke.

Er war der treueste Wegbegleiter, den man sich vorstellen kann. Ein Pferd wie kein Zweites.

 

Ich hoffe er hat auf der immergrünen Wiese am Ende des Regenbogens seinen Frieden gefunden und kann nun mit seinem Freund Heini die Gegend unsicher machen oder gemeinsam in der Sonne dösen.

 

Kleiner Bruder du fehlst mir!

Weitere Geschichten um und mit Mutabor gibt es hier: www.araberseite.de